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Title
Island on Fire. The Revolt That Ended Slavery in the British Empire


Author(s)
Zoellner, Tom
Published
Cambridge, MA 2020: Harvard University Press
Extent
376 S.
Price
€ 27,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Sonja Maurer, Landeshauptstadt Hannover

Weihnachten 1831 verlief auf Jamaika alles andere als friedlich: Bis Januar 1832 ereignete sich auf der Karibikinsel eine der größten und nachhaltig wirksamsten Sklavenrevolten in der Kolonialgeschichte der West Indies. Rund 60.000 von den etwa 300.000 versklavten Menschen auf der Insel waren an ihr beteiligt. Sie wird zumeist als „Baptist War“ oder „Christmas Rebellion“ bezeichnet. Weniger bekannt ist die Bezeichnung „Sam Sharpe Rebellion“, nach dem Anführer des Aufstands. Im vorliegenden Band stellt Tom Zoellner Samuel Sharpe in den Mittelpunkt seiner Forschung und versucht dessen Motive für die Planung und Ausführung des Aufstandes darzulegen. Gleichzeitig ordnet Zoellner die Revolte in den historischen Gesamtkontext ein und zieht eine klare Parallele von der großen Sklavenrebellion zur schlussendlichen Abschaffung der Sklaverei in den britischen Kolonien im Jahr 1838 sowie den Bemühungen der Abolitionist:innen. Somit legt Zoellner den Fokus ganz deutlich auf Sam Sharpe und seine Revoltenplanung – für die historische Forschung ein neuer Ausgangspunkt.

Die explizite Aussage, dass die Rebellion das Ende der Sklaverei im Britischen Empire zur Folge hatte, ist kein neuer Ansatz, der Zusammenhang wird jedoch von Historiker:innen unterschiedlich bewertet und diskutiert. Meist hat die bisherige Forschung eher den umgekehrten Kausalzusammenhang hergestellt, nämlich, dass das Engagement für eine Abschaffung der Sklaverei in Großbritannien den Wunsch der versklavten Bevölkerung nach Freiheit verstärkt habe.

Was es bedeutet hat als versklavter Mensch nach Jamaika zu kommen, wird durch die Entwicklung der Bevölkerungszahlen unterstrichen. Schätzungsweise 860.000 (versklavte) Menschen wurden über die Jahrhunderte nach Jamaika transportiert. Unter normalen Umständen hätten bis zur Emanzipation 1838 rund 1.7 Millionen Schwarze Einwohner:innen dort leben sollen. Was aber nicht der Fall war. „They had been kiled by disease, torture, starvation, or exhaustion or had simply never been born in the first place.“ (S.267). Die Einleitung und das erste Kapitel von „Island on fire“ nehmen eine historische Einordnung in die europäische Welt des 19. Jahrhunderts vor und beschreiben bildhaft die Verhältnisse auf Jamaika in der Blüte des britischen Sklavenhandels. Alles in einem süffisanten Unterton, wie er zumeist nur in der englischsprachigen wissenschaftlichen Literatur zu finden ist: „Die Insel umwehte damals ein Wild West Mythos“, nur, wie Zoellner schreibt, „ohne das Heldentum.“1 Er geht auf die Herausforderungen ein, die das Klima und die Umwelt auf der Insel mit sich brachten, und zeichnet ein Bild der weißen Bevölkerung, für die Alkohol und Sex eine große Rolle spielten, spezifisch der Sex, den weiße Männer mit versklavten Frauen hatten. Vergewaltigung, Gewalt, Ohnmacht und Tod waren Alltag im Leben versklavter Menschen auf Jamaika und der Titel des ersten Kapitels „A suburb of hell“ klingt nach dem Lesen wie ein Euphemismus.

Das folgende Kapitel widmet der Autor den Missionar:innen auf Jamaika. Um von den Plantagenbesitzern geduldet zu werden, mussten sie zumeist die problematischen, menschenverachtenden Zustände auf der Insel akzeptieren. Sie sahen weg, um bleiben zu dürfen. Dennoch war die Erlösung, die ein Teil der versklavten Bevölkerung in den Kirchen der Missionar:innen erlebte, nicht nur spiritueller Natur: Neben der Gelegenheit, regelmäßig im Rahmen der christlichen Veranstaltungen zusammenzukommen und sich auszutauschen, konnten Sklav:innen dort Schreiben und Lesen lernen. Und Bildung war etwas, das die weißen Pflanzer auf Jamaika besonders fürchteten. Der spätere Rebellionsanführer und Sklave Samuel Sharpe erlernte das Lesen und wurde Pastor innerhalb der Native Baptist Church. Dies verschaffte ihm Zugang zu Informationen aus Übersee, die er so an seine Gemeinde weitergeben konnte. Über das Kirchenamt konnte er sehr viele Menschen erreichen, über die Plantagengrenzen hinaus.

Auch der damalige Exportschlager aus Jamaika findet sich im Buch in einem eigenen Kapitel wieder: Zucker war für Großbritannien schon zu Zeiten von Elizabeth I. von besonders großer Bedeutung und der Anbau von Zuckerrohr in der Karibik stillte das süße Verlangen einer ganzen Nation. Der Zucker aus den West Indies wurde zudem mit den niedrigsten Einfuhrzöllen belegt, was den Plantagenbesitzern maximale Gewinne brachte. Für den Anbau von Zucker auf Jamaika war ein hohes Maß an Arbeitskraft notwendig und die Beschreibung der brutalen Zustände für die versklavten Menschen auf den Plantagen hinterlässt eher einen bitteren Nachgeschmack. Genauso wie Zoellners Aussage und der Vergleich, dass der Zucker auch für die weißen Sklavenhalter:innen tödlich sein könne. „A crowning irony of the sugar-slave symbiosis was that it was not fatal just to Africans; it could also be fatal to their masters.“ (S.42)

Die nächsten Kapitel beschäftigen sich mit der Planung, Ausführung und den Auswirkungen der Revolte sowie den Reaktionen der weißen Bevölkerung auf der Insel und in der Heimat der Plantagenbesitzer, in Großbritannien. Aus dem von Sharpe angedachten Arbeitsstreik nach den Weihnachtsfeiertagen wurde eine Rebellion, an deren Ende mehr als 100 Anwesen in Flammen aufgingen. Ein immenser Wertverlust für die weißen Plantagenbesitzer. Während des Aufstandes wurden mindestens 207 der aufständischen Sklav:innen und 14 Weiße getötet. Mehr als 300 Sklav:innen wurden in den Nachwehen der Rebellion aus den verschiedensten und oft nichtigsten Gründen exekutiert, unter ihnen auch Sam Sharpe. Die geringen Todeszahlen auf Seite der weißen Bevölkerung führen den friedlich geplanten Charakter des eigentlichen Streiks vor Augen. Der Aufstand der versklavten Bevölkerung wurde von der inseleigenen Miliz der weißen Bevölkerung sowie dem britischen Militär mit äußerster Brutalität niedergeschlagen. Das Kriegsrecht wurde ausgerufen und so jede Art von Morden entschuldigt. Das Trauma für die schwarze Bevölkerung, das während der brutalen Niederschlagung des Aufstandes ausgelöst wurde, ist aus heutiger Sicht nur schätzbar. Auch gegen die Missionar:innen richtete sich der Zorn, sahen die Weißen in ihnen doch die Ursache für die Rebellion.

Die Auswirkungen der Christmas Rebellion sind bereits von verschiedenen Seiten untersucht und interpretiert worden. Aber dass eine gewalttätige und spontane Revolte, der nach und nach immer mehr Aufständische hinzukamen, eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt, wurde bei den Untersuchungen bisher völlig außer Acht gelassen. Zoellner öffnet einen neuen Blickwinkel auf die Rebellion und ihre Hintergründe, indem er sehr ausführlich Sharpes Absicht darlegt, einen Arbeitsstreik mit konkreten lebensverbessernden Forderungen zu organisieren, der schlussendlich aus verschiedenen Gründen „eskalierte“.

Beim Versuch, Sharpes Motive und Planungen nachzuvollziehen und den Ablauf des Aufstandes detailliert darzustellen, gibt es jedoch ein großes Problem: nämlich die fehlenden schriftlichen Zeugnisse von Sklav:innen. Alles, was existiert, sind mündliche Überlieferungen aus zweiter Hand. Teilweise von den Missionar:innen aufgezeichnet, teilweise bei den Prozessen nach der Rebellion aufgeschrieben oder unter der Androhung bzw. Ausübung von Gewalt erpresst. Dass solche Zeugnisse mit größerer Vorsicht betrachtet werden müssen, liegt auf der Hand. Auf die Missionar:innen der Herrnhuter Brüdergemeine (Moravian Church), die ebenfalls auf der Insel aktiv waren, und auf ihren möglichen Beitrag zur Rebellion geht Zoellner jedoch nicht ein bzw. erwähnt sie gar nicht.

Die Brutalität, mit der die „Sam Sharpe Rebellion“ letztendlich niedergeschlagen wurde, und die Erlebnisberichte der Missionar:innen haben der Anti-Sklaverei-Bewegung definitiv neue Impulse gegeben und den gesamten Prozess zum Ende der Sklaverei im britischen Empire beschleunigt. Das britische Parlament verabschiedete das Gesetz zur Abschaffung der Sklaverei im Jahr 1833, die teilweise bereits im Jahr 1834 und endgültig dann mit der vollständigen Emanzipation im Jahr 1838 enden sollte. Die genauen Details zur Rebellion bleiben freilich auch weiterhin im Dunkeln, genau wie die tatsächlichen Opfer- und Beteiligungszahlen, und lassen sich heute aufgrund der fehlenden Dokumentation eben nicht mehr genau wiedergeben. Daher bleibt auch in diesem – absolut fundiert recherchierten - Werk Raum für Interpretation. Tom Zoellner ist es gelungen, sehr viele Informationen zu verweben und alles sowohl für Forschungsinteressierte als auch Neulinge kohärent und spannend aufzubereiten. Die Abläufe der Rebellion, ihre Planungen, aber auch die Reaktionen auf Seiten der Missionar:innen, der Abolitionist:innen und der weißen Befehlshabern werden detailliert dargestellt. Zoellner zeichnet ein realistisches und düsteres Bild von Jamaika auf dem Weg zur Emanzipation im 19. Jahrhundert und gibt im Epilog einen Einblick in die heutzutage auf der Karibikinsel stattfindenden Gedenkveranstaltungen zu Ehren Sam Sharpes und der weiteren Aufständischen, die mit ihrem Leben für die Freiheit zukünftiger Generationen gekämpft und bezahlt haben. Das ist umso bedeutender, weil die weiße Bevölkerung auf Jamaika nach dem Aufstand immens bemüht war, den Namen Sharpes in Vergessenheit geraten zu lassen. Der Autor verdeutlicht in diesem Schlusskapitel nochmal die Schwierigkeit, Sharpe als Person greifbar zu machen. War er ein Kriegstreiber, der nach dem Vorbild von Haiti die großen Anwesen niederbrennen wollte? Oder wollte er nur einen Arbeitsstreik, um Bezahlung für die geleistete Arbeit zu fordern? Am Ende ist es mit Samuel Sharpe wie mit Jesus in der Bibel: Was wir wissen, ist aus zweiter Hand und lässt weiterhin Raum für Interpretation.

Anmerkung:
1 Im englischen Original lautet das Zitat: „The mythology surrounding the island was not unlike that which the Wild West would take on for a later generation of American readers, except without the heroics.” (S. 11)

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